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2024/08 Das Herzensgebet

Das Herzensgebet

 

„… meine Mutter hatte es ... fertiggebracht, es so einfach auf den Punkt zu bringen, dass sich sein Sinn sogar einem zwölfjährigen Jungen erschloss: »Du brauchst bloß mit jedem Atemzug immer und immer wieder den Namen ›Jesus‹ zu wiederholen. Das ist alles. Der Name Jesu wird dich an so viele schöne Geschichten erinnern, dass dir die Zeit nie zu lang wird.« Ich versuchte es und es funktionierte.

 

Es stellte sich heraus, dass die Langeweile dann in meinem Leben ohnehin nie mehr zum Problem wurde – sondern eher das Gegenteil der Fall war. Als das Jesusgebet schließlich meine ständige Gebetsform wurde, stellte ich es mir eher wie einen Anker vor, der mir auch dann noch Halt gibt, wenn das Leben nur noch langweilig wirkt. Oder um es mit einer Formulierung aus dem Römischen Messbuch zu sagen: Das Jesusgebet hält mein Herz »in immerwährender Freude verankert«.

 

 

Am hilfreichsten habe ich die Formulierung »Lord Jesus, mercy!« gefunden (Anm. d. Ü.: deutsch z. B. »Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner!«). Der russische Pilger hat die oben genannte längere Form verwendet, aber ich habe es mit verschiedenen Fassungen versucht und diese passt mir am besten.

 

Meistens ist sie Ausdruck meiner Dankbarkeit: Wenn ich eine vorgegebene Situation ins Auge fasse und sie ganz in mich aufnehme, betrachte ich diese gegebene Wirklichkeit als eine Facette von Gottes höchstem Geschenk, das im Namen Jesu zusammengefasst ist. Sodann spreche ich beim Ausatmen die zweite Hälfte des Gebets, deren Sinn dann ist: »O, mit welchem Erbarmen überschüttest du mich jeden Augenblick neu!« Zuweilen kann das Stichwort »erbarme dich meiner« natürlich auch mein Hilfeschrei sein, etwa, wenn ich todmüde bin, aber noch eine Terminarbeit fertigstellen muss, oder wenn ich von der Zerstörung der Regenwälder lese oder über die zehntausend Kinder, die auf diesem Planeten alle vierundzwanzig Stunden verhungern. Dann stöhne ich »Erbarmen, Erbarmen!«.“

 

Das Jesusgebet hat sich derart mit meinem Ein- und Ausatmen verbunden, dass es die meiste Zeit von allein dahinfließt. Wenn ich am Einschlafen bin, geht es zuweilen weiter, bis es mit dem tiefen Atem meines Schlafs verschmilzt.“

 

Quelle: Auf dem Weg der Stille - Das Heilige im Alltag leben, David Steindl-Rast, Herder, 2023, S. 12 – 13

https://www.bibliothek-david-steindl-rast.ch/bibliothek/buecher-cd-dvd-im-handel/buecher-von-david-steindl-rast/2516-auf-dem-weg-der-stille-2023

 

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